Von der Leinenführigkeit unserer Hunde

Die Leinenführigkeit unserer Hunde ist ein beharrlich wiederkehrendes Thema, das viele Hundehaltende sehr beschäftigt und in einigen Fällen auch zur Verzweiflung treiben kann. Wer hat schon Lust, sich von seinem Hund während des Spaziergangs durch die Gegend ziehen oder gar zerren zu lassen? Wahrscheinlich niemand.
Dennoch ziehen einige Hunde ihre Menschen hinter sich her und von einer Wegseite zur anderen. Von einem entspannten Spaziergang ist nicht viel oder gar nichts zu spüren. Je größer und schwerer der Hund, desto größer scheinen das Problem und die Verzweiflung.

Und obwohl es so ist, scheint es fast so, als ob man die Umsetzung der ordentlichen Leinenführigkeit vor sich herschiebt, weil man es dann doch nicht mehr als ganz so schlimm empfindet. Es gibt schließlich auch noch andere Dinge im Zusammenleben mit unseren Hunden, die wichtiger zu sein scheinen, beispielsweise der Freilauf. Ohne Frage ist dieser wichtig. Allerdings gibt es Situationen und Orte im Leben, in und an denen wir unsere Hunde anleinen müssen, z.B. in Naturschutzgebieten, Einkaufspassagen, in der Nähe von Spielplätzen, Kindergärten, Schulen usw. Vielleicht ist es aber auch so, dass viele Menschen gar nicht genau wissen, wie sie ihren Hunden klar machen können, dass sie sich auch an der Leine an ihrem Menschen orientieren sollten, um ein entspanntes Vorankommen – einen entspannten Spaziergang – möglich zu machen.

Methoden
Der „Markt“ bietet mittlerweile eine Vielzahl von Methoden der „perfekten“ Leinenführigkeit. Hier sind ein paar Beispiele:

Stehen bleiben, wenn der Hund an der Leine zieht
Der Hund soll dabei lernen, dass er nur bei einem Spaziergang vorankommt, wenn die Leine locker ist bzw. er selbst keinen Druck am Halsband oder Geschirr spürt.
In dem Moment, in dem der Hund zieht bzw. sich die Leine spannt, bleibt der Mensch kommentarlos stehen. Es geht erst wieder weiter, wenn der Hund selbst erkennt, dass er mit gespannter Leine nicht vorankommt und schließlich von sich aus die Leine lockert, indem er sich in die Richtung seines Menschen bewegt.
Diese Methode kann unterschiedlich modifiziert werden, zum Beispiel:
– sobald der Hund zieht, sofort rückwärtsgehen bis sich der Hund umdreht und auf uns zugeht
– wenn der Hund zieht, ihm sagen, dass er das nicht tun soll (z.B. „Nein!“) und solange rückwärtsgehen, bis sich der Hund umdreht und auf uns zugeht

Eine Schwierigkeit bei dieser Methode kann sein, dass der Hund lernt, dass das Ziehen an der Leine zur Übung dazu gehört, weil der Mensch bei dieser Methode erst reagiert, wenn der Hund bereits zieht. Zusätzlich kann sich das Ziehen an der Leine auch verstärken, wenn der Mensch nicht absolut konsequent bei der Umsetzung dieser Methode ist. Besonders für Menschen, die schneller zur Ungeduld neigen, kann diese Methode eine sehr große Herausforderung darstellen.
Diese Methode erfordert also vom Menschen neben unermüdlicher Konsequenz präzises Timing, viel Geduld und auch Zeit.

Richtungswechsel
Sobald der Hund dabei ist, seinen Menschen zu überholen, schneller als er zu werden und/oder ihn „vergisst“, ändert der Mensch kommentarlos die Richtung, indem er sich von seinem Hund wegdreht und seinen Weg in eine andere Richtung fortsetzt.
Hier geht es (anfangs) um die Orientierung vom Hund am Menschen im Nahbereich, also an der Leine. Bekommt der Hund die Richtungswechsel seines Menschen mit, dann wird er seinem Menschen folgen und die Leine wird automatisch locker sein. Tempowechsel können zusätzlich Abwechslung schaffen und dadurch eine weitere Orientierungshilfe sein.

Auch bei dieser Methode ist ein gutes Timing erforderlich. Der Hund sollte nicht erst in die Leine laufen und diese dadurch auf Spannung bringen. Die Richtung oder das Tempo zu wechseln, wenn unser Hund noch hinter oder neben uns ist, ist fairer ihm gegenüber und macht es ihm sowie auch uns leichter, Orientierung und Führung zu schaffen.

Blockieren
Der Hund soll lernen, dass seine Vorderpfoten immer hinter der Körperachse des Menschen sein sollen. Der Hund soll also hinter dem Menschen laufen.
Der Mensch blockiert körperlich das Überholen des Hundes. Der Mensch dreht sich zum Hund ein und stellt sich mit dem kompletten Körper vor den Hund und hält ihn damit an. Mit welcher Intensität dieses geschieht, hängt vom Hund ab.
Nach der Blockade dreht sich der Mensch in die ursprüngliche Richtung um und geht weiter.
Der Mensch könnte den Hund auch mit der Hand stoppen, wenn der Hund der Körperblockade ausweichen sollte. Man hindert den Hund mit der Hand daran, zu überholen.

Die Frage ist, was der Hund bei dieser Methode lernt, die Orientierung am Menschen oder das Hinterherlaufen? Man sollte sich also vorher im Klaren sein, ob einem die Orientierung wichtig ist oder ob es reicht, dass der Hund lernt, hinterherzulaufen.

Leinenführigkeit mit Futter
Durch Locken mit Futter geht der Hund neben dem Menschen und hält so die Leine locker.
Mögliche Fragen, die man sich bei dieser Methode stellen sollte, sind: was macht der Hund, wenn er über eine längere Dauer das Leckerchen nicht bekommt? Wie viel wichtiger ist das Leckerchen als andere Ablenkungen, zum Beispiel andere Hunde? Lernt der Hund dabei, sich am Menschen oder am Leckerchen zu orientieren?

Es gibt noch mehr Methoden, auch weitere Modifikationen der hier beschriebenen Methoden sowie deren möglicher Kombinationen. Eine Methode, die funktioniert, ist natürlich gut. Noch besser ist es, wenn ich diese mit meinem Hund auch leben kann.

Denkt immer bitte bei der allzu präsenten Reizüberflutung diverser Hilfsmittel, die man im Einzelhandel käuflich erwerben kann, daran, dass Ihr als Mensch – Sozialpartner/in – das Wichtigste für Euren Hund bzw. Eure Hunde seid!

Fundamente legen
Bevor es allerdings ans Eingemachte geht, also in die Praxis, gehen wir noch mal einige Schritte zurück… an den Anfang. Setzen wir uns Zuhause hin und denken einfach mal über ein paar Dinge nach:
Warum zieht ein Hund an der Leine?
Das kann unterschiedliche Gründe haben, wie zum Beispiel:
– es handelt sich um einen Hund aus dem Tierschutz, der eine Leine noch nicht kennengelernt hat
– der Hund hat es nie richtig gelernt, weil der Mensch zu nachlässig war
– der Hund ganz einfach Erfolg hat, indem er uns irgendwohin zieht, wo er gerne sein will, z.B. wichtige Schnupperstelle, anderer Hund, anderer Mensch, … oder er uns im umgekehrten Fall von einer ihm unangenehmen Situation wegzieht (wir bestätigen unseren Hund, wenn wir mitgehen bzw. uns mitziehen lassen)
und er sein Verhalten als selbstbelohnend erlebt.

Verhaltensweisen, die sich für einen Hund lohnen, wird er wieder zeigen. Dabei nimmt er in diesem Kontext, je nach Veranlagung, einige Unannehmlichkeiten mit in Kauf. So kann es sein, dass auch ein möglicher Schmerz beim Zug an der Leine vom Hund toleriert wird, weil aus seiner Sicht der Schmerz weniger unangenehm ist, als es sich für ihn lohnt zu ziehen.
Unsere Hunde zeigen sehr viel Beharrlichkeit, wenn ihnen etwas wichtig ist.

Dann komme ich auch schon zum nächsten Punkt, über den es sich aus meiner Sicht unbedingt lohnt, noch einmal nachzudenken:
Wie ist meine Einstellung zur Leine und zur Leinenführigkeit?
Bei Beantwortung dieser Frage sollten wir ganz ehrlich zu uns selbst sein. Vielleicht findet sich hier bereits ein Widerstand, der nichts mit der Methode oder gar dem Hund zu tun hat.

Ein weiterer Punkt ist die eigene Definition von der Leinenführigkeit. Wie sollten mein Hund und ich beispielsweise auf einem Foto aussehen, das gemacht wird, wenn ich Leinenführung gebe und mein Hund sich leinenführig verhält? Wie ist meine Haltung, wo ist mein Blick, wie ist mein Gang, wie halte ich die Leine, wo befindet sich mein Hund (hinter mir, neben mir, vor mir), wohin geht der Blick meines Hundes, …? Bin ich mir bewusst, dass ich auf der Beziehungsebene mehr Verantwortung für meinen angeleinten Hund übernehme als für meinen freilaufenden Hund?

Es ist schön und ungemein hilfreich, wenn wir die Bereitschaft haben, auch an uns zu arbeiten. Die Leinenführigkeit des Hundes beginnt am anderen Ende der Leine, nämlich beim Menschen. Wenn wir Leinenführung geben bzw. Orientierung schaffen wollen, dann beginnt diese nicht mit einer Technik bzw. Methode beim Spaziergang, sondern einige Schritte vorher.
Erinnert Euch an Eure Fundamente. Wenn Ihr Euch zu sehr an dem Thema Leinenführigkeit „festgebissen“ habt und sich aber nichts ändert, dann lohnt sich erfahrungsgemäß der Blick auf das Drumherum.

Auf diesem Fundament aufbauen
Wenn wir uns über alles klar geworden sind und (uns selbst) Antworten geben können, dann ist es an der Zeit, sich über die Praxis des Leinentrainings Gedanken zu machen. Dazu gehören die Rahmenbedingungen des Trainings, wie zum Beispiel:
– Ablenkungsfreie/-arme Umgebung
– Stellvertreterreize und -situationen
– mit anderen Hunden (Gruppentraining)
– richtige Stimmung für das Training
– Lernpausen
– …
Nun kommt es schließlich zur Technik/Methode, mit der jedes Mensch-Hund-Team klarkommt bzw. – wie ich finde – auch leben kann und will. Hier ist es dann auch nicht mehr so schwer, die passende für die Leinenarbeit zu finden.

Fünfe gerade sein lassen?
Ja, das ist möglich und machbar!
Wir sind genau wie unsere Hunde Lebewesen, keine Roboter. Wir haben fröhliche, starke, gute Tage und auch nicht so gute bis schlechte Tage. Bevor wir an einem nicht so guten Tag mit unseren Hunden halbherzig üben und dann aufgrund unserer schlechten Stimmung doch aufgeben, können wir sie dann lieber von Anfang an an diesem Tag machen bzw. an der Leine ziehen lassen. Wenn wir unsere Hunde nämlich erst korrigieren… korrigieren… korrigieren… und letztlich doch aufgeben, dann haben sie etwas Entscheidendes gelernt, nämlich, dass sie nur beharrlich dran bleiben müssen bis wir sie in Ruhe lassen. Das wollen wir nicht.
Wir können vor einem Spaziergang die Entscheidung treffen, dass unsere Hunde machen können, was sie wollen (Voraussetzung ist natürlich immer, dass man für sich selbst und andere keine Gefahr darstellt) und beim nächsten Mal üben werden, und das mit fröhlicher und wohlwollender Stimmung, Beharrlichkeit und ganzem Herzen. Das verstehen unsere Hunde!

Rituale geben Struktur
Wir können, wie bei anderen Übungen auch, dem Leinentraining ein Anfang und ein Ende geben. Wir geben dem Leinentraining ein Anfangsritual. Die Hunde lernen, dass sich die Situation beim Spaziergang ändert und sie nun ihre Aufmerksamkeit auf uns richten sollen. Der eine oder Hund braucht dafür ein deutlicheres Signal als andere Hunde. Dann wird gearbeitet. Konzentriert, fokussiert und wohlwollend schaffen wir die Orientierung an der Leine. Wenn es gut klappt, zu Beginn reicht auch eine kurze Dauer des Leinentrainings, hören wir auf. Wir beenden das Leinentraining mit einem weiteren Ritual. Wir können unsere Hunde mit einem fröhlichen Lob auflockern und vielleicht auch ein paar Schritte miteinander laufen. Dann ist es auch wieder egal, wenn sich die Leine spannen sollte. Die Übung ist schließlich beendet.
Rituale verleihen Struktur, geben Stabilität und vermitteln ein Gefühl der Sicherheit. Das ist es, was wir und unsere Hunde brauchen, besonders wenn wir schon recht lange an der Leinenführung und Leinenführigkeit herumdoktern.

Ein Gedanke zum Schluss
Scheut Euch nicht, Euch (professionelle) Hilfe zu holen.
Dazu kann auch gehören, dass Ihr andere Hundehaltende, bei denen Ihr seht, wie gut sich ihre Hunde an der Leine an ihnen orientieren, auf Euren Spaziergehrunden fragt, wie sie das erreicht haben. Die allermeisten Menschen werden Euch diese Frage gerne beantworten.