Der Hund zieht an der Leine, erst nach rechts, dann wieder nach links. Die Nase tief am Boden, die Rute aufgerichtet Richtung Himmel. Dann taucht ein Artgenosse auf. Der eigene Hund spannt sich an, fixiert, bellt, springt vielleicht in die Leine und knurrt. Keine neue Situation, und doch jedes Mal wieder unangenehm. Unangenehmer noch wird es, wenn das Gegenüber mit scheinbarer Mühelosigkeit vorbeigeht. Kein Ziehen, kein Bellen, keine Reaktion. Nur ein Mensch mit einem Hund, der ruhig neben ihm läuft. Gelassen, konzentriert, … „perfekt“. Und genau in diesem Moment kommt er hoch, dieser eine Gedanke: „Super. Jetzt denkt der Typ, ich habe meinen Hund nicht im Griff.“
Solche Situationen gehören nicht selten in den Alltag. Sie passieren auf Wegen, Wiesen und Straßen. Nicht nur im Außen, sondern auch in den Köpfen der Hundehalter*innen. Denn da ist oft dieses Gefühl, beobachtet zu werden. Oder schlimmer noch: bewertet.
Ob bewusst oder unbewusst, es kommt immer wieder vor, dass sich Menschen mit anderen Mensch-Hund-Teams vergleichen. Wer wirkt gelassener? Wessen Hund verhält sich ruhiger? Wer strahlt mehr Souveränität aus? Solche Gedanken beginnen oft, noch bevor eine Begegnung überhaupt richtig stattfindet.
Der innere Druck, den eigenen Hund „gut“ zu führen, kann mit jeder Begegnung zunehmen. Besonders dann, wenn es gerade nicht rundläuft. Der Hund zieht, bellt oder reagiert anders, als man es sich wünscht. Und schon wandert der Fokus weg vom eigenen Hund und hin zu dem, was andere möglicherweise denken.
Von Hunden wird oft erwartet, dass sie sich trotz Ablenkung auf ihre Menschen konzentrieren. Ruhig bleiben. Bei sich bleiben. Doch genau das gelingt auch auf Menschenseite nicht immer. Außenreize, besonders in Form anderer Hundehalter*innen, können Nervosität auslösen. Oder Unsicherheit. Manchmal auch Scham. Das eigene Verhalten wird hinterfragt. Jede Reaktion des Hundes wird oft besonders kritisch bewertet.
Und die anderen? Die scheinbar perfekten Teams? Vielleicht beschäftigen sie sich mit ganz ähnlichen Gedanken. Vielleicht war der Hund letzte Woche noch an der Schleppleine, weil der Rückruf gar nicht funktioniert hat. Vielleicht hat der Mensch gerade die vierte Hundeschule ausprobiert und heute läuft es zum ersten Mal ein wenig besser. Oder es wirkt einfach nur so, als sei alles leicht. Im Inneren sieht es vielleicht ganz anders aus. Mit Unsicherheit. Mit Selbstzweifeln. Mit dem Wunsch, nicht negativ aufzufallen.
Auch in Hundeschulgruppen kann dieser Vergleich eine Rolle spielen. Manchmal ganz still und unterschwellig. Ein einziger Vorfall. Ein Knurren. Ein Bellen. Vielleicht sogar eine kurze Auseinandersetzung zwischen zwei Hunden. Und schon verändert sich etwas in der Wahrnehmung. Das betroffene Mensch-Hund-Team wird plötzlich anders angeschaut. Mit mehr Vorsicht. Mit Distanz. Mit dem Gedanken: „Ach, das ist doch der, der …“ Oder auch: „Ich bin mir nicht sicher, ob das mit den beiden Hunden jemals wieder richtig passt.“
Dabei ist der Vorfall für die Hunde oft längst erledigt. Sie haben sich „ausgesprochen“, vielleicht sogar wieder miteinander gespielt oder sich einfach ignoriert. Ganz normal im sozialen Leben unter Hunden. Nur wir Menschen tragen diese Geschichte länger mit uns herum. Wir erwarten beim nächsten Aufeinandertreffen eine Wiederholung. Wir verhalten uns angespannter. Und genau das verändert wiederum die Situation.
Was wir in anderen wahrnehmen, kann mehr mit uns selbst zu tun haben als mit der tatsächlichen Situation. Man schaut hin, beobachtet, bewertet und merkt dabei nicht, dass manches davon aus der eigenen Unsicherheit entsteht. Je mehr man sich mit möglichen Fehlern, Eindrücken oder Erwartungen beschäftigt, desto weniger Aufmerksamkeit bleibt für das, was im Moment eigentlich wichtig wäre.
Was helfen kann: den eigenen Blick neu auszurichten. Weg von der Idee, dass alles perfekt laufen muss. Weg von dem Anspruch, immer alles unter Kontrolle zu haben.
Wohin dieser Blick sich stattdessen richtet, ist wieder ganz individuell. Vielleicht mehr Gelassenheit. Vielleicht ein klarerer Blick auf das, was im Miteinander gerade wirklich zählt. Fehler gehören dazu. Nicht immer läuft alles so, wie es im Lehrbuch steht.
Streitkultur gehört dazu. Eine gute Streitkultur, die Raum lässt für Reibung, für unterschiedliche Sichtweisen und für Entwicklung. Beziehung entsteht nicht durch Kontrolle oder Perfektion, sondern durch gemeinsame Erfahrungen und gegenseitiges Verstehen.
Vielleicht hilft es, sich ab und zu daran zu erinnern, worauf es wirklich ankommt. Nicht darauf, wie man auf andere wirkt. Sondern darauf, wie sich das Miteinander mit dem eigenen Hund anfühlt. Nicht darauf, alles richtig zu machen. Sondern bereit zu sein, dazuzulernen, wenn etwas nicht klappt. Nicht ständig überlegen, was andere über mich und meinen Hund denken. Sondern bei sich, seinem Hund und dem eigenen Weg zu bleiben. Schritt für Schritt. Jeden Tag.